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Von Susanne Nagel (www.menschenbewegen.com)

Das Beziehungskonto: ein effektives Tool für eine bessere Beziehung

Beziehungskonto

Wenn Paare zu mir in die Beratung kommen, stehen die Zeichen oft auf Sturm. Der Blick auf den Partner ist nicht mehr liebevoll wie am Anfang der Beziehung, sondern häufig übermäßig kritisch. Nur noch die negativen Dinge werden wahrgenommen. Höchste Zeit für John Gottmans Beziehungskonto!

Wer ist John Gottman?

Ich bin bekennender John−Gottman−Fan. John Gottman ist für die Paarforschung das, was Alfred Charles Kinsey in den 1950ern für die Sexualforschung war. Seit 1970 erforscht er mit wissenschaftlicher Akribie, was in Paarbeziehungen hinter verschlossenen Türen so los ist. Spannend dabei ist sein Ansatzpunkt: Im Gegensatz zu anderen Forschern untersucht John Gottman nicht die häufigen Probleme in Partnerschaften. Er will wissen, was Paare, deren Beziehung gut gelingt, anders machen als Paare, deren Beziehung schlecht läuft oder gar scheitert.

Das Love Lab in Seattle

Dazu richtete er an der Universität von Seattle ein Apartment ein, das sogenannte Love Lab, und „verwanzte" es mit Videokameras und Mikrofonen − außer in Schlafzimmer und Bad versteht sich. Dann lud er die unterschiedlichsten Paare ein, ein Wochenende im Love Lab zu verbringen. Paare, die schon lange zusammen waren, solche, die sich erst kurz kennengelernt hatten, Paare unterschiedlicher ethnischer Gruppen etc. Schließlich wollte er einen guten Bevölkerungsdurchschnitt untersuchen.

Der Versuchsaufbau

Die Paare bekamen die Anweisung, sich nicht anders zu verhalten als sonst auch. So, als wären sie bei sich zuhause. Sie erhielten Geräte, die kontinuierlich den Puls maßen, und der Urin wurde auf Stresshormone untersucht. Schwer vorstellbar, dass sie sich mit all diesem Klimbim tatsächlich ganz normal verhalten würden. Doch die Video− und Tonaufnahmen, die minutiös ausgewertet wurden, zeigten, dass die Versuchsteilnehmer nach einer gewissen Zeit durchaus vergessen zu haben schienen, dass sie beobachtet wurden. Im Anschluss an das Wochenende wurden die einzelnen Paare noch befragt, wie sie selbst ihre Beziehung einschätzten.

Das Ergebnis

Und jetzt wird's spannend. Als John Gottman seine Beobachtungen mit den Einschätzungen der Paare, wie es um ihre Beziehung so stünde, verglich, fiel ihm auf, dass diejenigen Paare, die ein hohes Maß an Zufriedenheit geäußert hatten, laut seiner Auswertung fünfmal so oft positiven Kontakt miteinander gehabt hatten wie negativen. Bei Paaren, die sehr geringe Zufriedenheit kundgetan hatten, war das Verhältnis fast eins zu eins. Um genau zu sein: Gottman kam auf das Ergebnis 0,8−mal positiven Kontakt im Verhältnis zu einem negativen Kontakt. Als er ein paar Jahre später den Versuch wiederholte und dieselben Paare erneut einlud, stellte sich heraus, dass viele der zweiten Gruppe sich getrennt hatten.

Was genau bedeutet das?

Das Ergebnis nochmal in klaren Worten ausgedrückt: Um in unseren Beziehungen langfristig zufrieden zu sein, brauchen wir 5−mal so viel positive Erlebnisse wie negative. Sprich: Für einmal Nörgeln 5−mal Lob. Dann erst geht die Rechnung auf. Kennt man ja auch aus anderen Zusammenhängen, z. B. bei Lügen. Da ist das Verhältnis sogar noch extremer. Wenn mir jemand bisher immer die Wahrheit gesagt hat, und dann ertappe ich ihn bei einer Lüge, werde ich die nächste Zeit misstrauisch sein.

Was sind positive Kontakte?

Und was genau sind positive Kontakte? Für Gottman ist ein Kontakt positiv, wenn auf eine „bid for connection", also ein Angebot, in Verbindung zu treten, eine positive Reaktion erfolgt. Beispiel: Ich sitze mit meinem Partner am Frühstückstisch und er liest Zeitung. Ich frage ihn etwas zur Wochenendplanung und ernte entweder gar keine Reaktion oder nur ein Grunzen. Das ist eindeutig ein negativer Kontakt, mein Partner lässt mich „abtropfen". Sagt er dagegen „Frag mich gleich nochmal, ich will nur schnell den Artikel zu Ende lesen", ist das ein positiver Kontakt. Er signalisiert mir, dass er mein Angebot wahrgenommen hat und gleich darauf zurückkommt. Wenn man sich das auf der Zunge zergehen lässt, stellt man fest, dass der Alltag jede Menge Möglichkeiten für positive Kontakte bietet. Genial, oder? Es sind also nicht die großen Sachen, der tolle Urlaub oder das teure Geschenk, die wesentlich für die Beziehungszufriedenheit sind, sondern viele, viele kleine Alltagsaufmerksamkeiten. Apropos Aufmerksamkeiten, natürlich fallen auch Dinge wie mich beim Partner bedanken, ihm Wertschätzung entgegenbringen, kleine Mitbringsel oder Gefälligkeiten in die Rubrik "positive Kontakte".

Das Beziehungskonto

Gottman hat aus dieser Beobachtung eine meiner Meinung nach wirklich geniale Metapher entwickelt, die Paaren dabei helfen kann, ihre Paardynamik zum einen besser zu verstehen und zum anderen aktiv etwas für die Beziehungszufriedenheit zu tun: das Beziehungskonto.

Das Beziehungskonto hat wie ein normales Bankkonto eine Haben− und eine Soll−Seite. Auf die Haben−Seite zahlen wir mit positiven Kontakten ein, auf der Soll−Seite buchen wir bei negativen Kontakten ab. Und jetzt aufgemerkt. Wir haben ja ein Verhältnis von 5:1, ihr erinnert euch? Sprich ein negativer Kontakt bucht also fünfmal so viel ab, wie ein positiver einzahlt. Oder um es mal mit Zahlen auszudrücken: Negativer Kontakt kostet mich 5000 Euro auf der Soll−Seite, positiver zahlt 1000 Euro ein. Jetzt muss man nicht Betriebswirtschaft studiert haben, um sich vorstellen zu können, was passiert, wenn viel abgehoben und (zu) wenig eingezahlt wird. Klar, das Konto gerät in die Miesen.

Die dunkle Brille

Was passiert in der Beziehung, wenn das Konto in den Miesen ist? Genau, die Beziehungszufriedenheit nimmt rapide ab, denn unser 5:1−Verhältnis ist nicht länger gegeben. Doch nicht nur das. Denn wir unterliegen noch zusätzlich einer Wahrnehmungsverzerrung. Ich nenne sie "die dunkle Brille". Und die sieht folgendermaßen aus: Da wir mehr Negatives als Positives wahrnehmen, richten wir den Fokus unserer Aufmerksamkeit auf das Negative, das heißt, wir erwarten, dass etwas Negatives passiert. Und das führt dazu, dass wir selbst neutral oder positiv gemeinte Kontakte nicht mehr als solche wahrnehmen können. Wir haben unsere dunkle Brille aufgesetzt, und die färbt unseren Blick auf die Welt und unseren Partner. Beispiel: Mein Partner bringt mir Blumen mit. Ist unser Konto im Plus, freue ich mich. „Toll, dass er an mich gedacht hat und mir etwas Liebes tun will." Habe ich meine dunkle Brille auf, sehen meine Gedanken ganz anders aus. Ich bin höchstwahrscheinlich misstrauisch. „Was will er von mir? Was ist da im Busch? Es wird schon einen Grund geben, warum er sich jetzt bei mir einschleimen will." Ich unterstelle ihm böse Absichten und reagiere dementsprechend. Noch mehr Abhebungen. Ein Teufelskreis entsteht. An diesem Punkt befinden sich Paare oft, wenn sie zu mir in die Beratung kommen.

Was tun?

Oftmals hilft bereits das Bild des Kontos dabei, die Brille etwas heller werden zu lassen und nicht mehr zwangsläufig davon auszugehen, dass der andere mir übelwill. Und dann gilt: Einzahlen, einzahlen, einzahlen! Wenn nur jeder täglich einmal einzahlt, hätte das Paar in einem Jahr ein Guthaben von 730 000 Euro. Man stelle sich das mal vor! Ich kann das warme Pling-Pling des Einzahlens förmlich hören. Da kann auf der anderen Seite schon mal abgehoben werden. Und so läuft das ja auch in Beziehungen. Keine Meinungsverschiedenheiten gibt's nicht. Doch wenn auf der Haben−Seite ein dickes Polster ist, gehe ich ganz anders damit um.

Fazit

Behaltet euer Konto gut im Auge und sorgt für ausreichend Guthaben. Dafür bieten sich im Alltag wirklich zahllose Möglichkeiten. Und innerhalb relativ kurzer Zeit werdet ihr feststellen, wie sich die Stimmung in der Partnerschaft verändert, denn die Wahrnehmungsverzerrung funktioniert natürlich andersrum genauso, ein Phänomen, das wir alle kennen: die rosa Brille. Klar, so dunkelrosa wie in der Phase des Verliebtseins wird sie später nicht mehr werden. Doch wir können mit Achtsamkeit und Aufmerksamkeit im Alltag viel dafür tun, wie unser Blick auf den Partner ausfällt. Also, sorgt dafür, dass eure Brillen stets einen leichten rosa Hauch haben. Glaubt mir, das steht euch viel besser!